"Die Magd des Medicus" - Historisches
Die fiktive Heldin Barbara – eine Unehrliche
Falls Paracelsus, der wohl berühmteste Arzt der Frühen Neuzeit, eine Magd an seiner Seite hatte, wäre diese in den Zeitzeugnissen wohl kaum erwähnt worden. So habe ich mir als Autorin die dichterische Freiheit erlaubt, ihm eine junge Frau zur Seite zu stellen, die ihn in seiner Persönlichkeit widerspiegelt. Barbara ist Außenseiterin wie er, wenn auch aus anderen Gründen: Als Tochter eines Abdeckers bzw. Schinders gehört sie zur gesellschaftlichen Randgruppe der Unehrlichen. Dabei ist „unehrlich“ nicht moralisch-sittlich im Sinne von betrügerisch zu verstehen, sondern sozial. Der Unehrliche war weder handwerks- noch ratsfähig und von kirchlichen wie politischen Ämtern ausgeschlossen, nahm aber am öffentlichen Leben durchaus teil.
Der Begriff ist ein Kind der Frühen Neuzeit, wobei die Unehrlichkeit je nach Region unterschiedliche Gruppen betraf und unterschiedlich stark ausgrenzte. Da gab es zum einen die als unehrlich geltenden Berufe wie Schäfer oder Feldhüter, mancherorts auch Bader, Leineweber oder Müller (hier ging die Ausgrenzung stark von den Zünften aus) sowie all jene Gewerbe, die mit Schmutz und Gestank, mit Strafe und Tod zu tun hatten, etwa Totengräber, Kloakenreiniger, Abdecker oder par excellence der todbringende Henker. Darüber hinaus wurden aber auch ganze Gruppen ausgegrenzt, nämlich unehelich Geborene, Prostituierte, „Zigeuner” (auch Heiden oder Ägypter genannt), Juden, Bettler, Gebrandmarkte und natürlich alles fahrende Volk.

Vor allem in der städtischen Kultur hatten diese Menschen kaum eine Chance, ihre Herkunft zu überwinden, waren dauerhaft am unteren Ende der Gesellschaftspyramide angesiedelt, galten mehr oder minder als verachtenswert, ehrlos und damit latent kriminell – auch wenn ihre Fähigkeiten durchaus anerkannt waren. Was nach und nach hinzukam: Wer engen Kontakt zu Unehrlichen hatte, lief Gefahr, selbst unehrlich zu werden.
Was nicht daran hinderte, dass Frauen aus diesen Randgruppen von vielen Männern als Freiwild angesehen wurden. Ohne böse Folgen fürchten zu müssen, konnte „Mann“ sie sexuell nötigen oder missbrauchen. Dafür steht die im Roman dargestellte Vergewaltigung Barbaras durch Oporinus, die allerdings frei erfunden ist. Dessen Zerwürfnis mit Paracelsus hingegen ist historisch: Noch zwanzig Jahre später überschüttet Oporinus in einem ausführlichen Brief seinen inzwischen verstorbenen einstigen Meister mit Spott und Häme – für uns heute ein einzigartiges Zeitzeugnis.

Arzt, Autor, Alchemist
Der etwas kleingeratene, bucklige, manchmal auch stotternde Arzt mit der hohen Stirn und dem mächtigen, fast kahlen Schädel fiel nicht nur äußerlich auf. Schon zu Lebzeiten wurde dem aufbrausenden Querkopf so manches nachgesagt: Er schreibe seine Werke stets im Vollrausch, habe sich teuflischer Schwarzkunst verschrieben, seine Kunst bei Henkern, „Zigeunern“ und Jahrmarktsweibern gelernt, zeichne sich als ein gottloser Trunkenbold und Winkelprediger aus, der nur vor Bauern und Fuhrleuten reden könne, nicht aber vor Gelehrten, ja sogar, dass er als Knabe durch ein Unglück entmannt worden sei. Die einen hielten ihn für einen Scharlatan, die anderen für einen begnadeten Wunderheiler, der ein geheimnisvolles Zauberelixier gefunden habe, das gegen alle Krankheiten helfe.
Tatsache ist: Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, 1493 oder 94 im schweizerischen Einsiedeln geboren, aufgewachsen nur mit seinem Vater im österreichischen Villach, führte zeitlebens ein rastloses, abenteuerliches Wanderleben, blieb selten länger als ein Jahr an einem Ort, um dann wieder auf den Landstraßen Europas unterwegs zu sein. Als junger Mann hatte er dort gelernt und gewirkt, wo sich die Kränksten der Kranken fanden: in den Feldlazaretten und Spitälern. Er war also sowohl Wund- als auch Kriegsarzt, hatte aber an der Universität von Ferrara den Doktortitel erworben, und zwar, was damals für Deutschland sehr ungewöhnlich war, „in beiderlei Arzneien“, sprich in der Inneren Medizin wie in der Chirurgie.

Genau wie Erasmus von Rotterdam, den er bewunderte, aber nie als Freund gewinnen durfte, war er durch und durch ein Renaissancemensch, ein Universalgelehrter. Er begeisterte sich, wie seine Schriften zeigen, nicht nur für die Heilkunde, sondern auch für theologische, naturwissenschaftliche und philosophische Fragen, für Bergbau und Bäderkunde, Politik und Zeitgeschichte, Astrologie und Alchemie, wobei ihm mit Letzterem nichts ferner lag als Gold zu schaffen. Sein Ziel war es stattdessen, auf (al)chemische Weise in Metallen, Mineralen und pflanzlichen Stoffen das Reine vom Unreinen zu scheiden, um eine hochwirksame Quintessenz zu erhalten, das sogenannte Arcanum, dem die von Gott herrührende Heilkraft innewohne. Mit den Ergebnissen experimentierte er übrigens immer wieder an sich selbst: In seinem Skelett wurde noch im 19. Jahrhundert eine hohe Quecksilberkonzentration gefunden!
Er war ein faustischer Geist, immer auf der Suche nach Ursprung und Wahrheit, allerdings hatte er sich nicht dem Teufel verschrieben, sondern Gott und seinen Kranken. Das Bild eines Teufelsbeschwörers wurde ihm übrigens erst später angedichtet, denn sowohl die Beschäftigung mit astrologischen Prognosen als auch die magische Sicht auf Welt und Kosmos waren ein typisches Zeitphänomen gerade unter Gelehrten.
Als (vielschreibender) Autor war ihm leider wenig Glück beschieden: Über 90 Prozent seiner Werke sind erst postum erschienen, lösten dafür aber ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine wahre Renaissance des „Paracelsismus“ aus, die mit Unterbrechungen bis heute, vor allem in der Naturheilkunde und im Bereich ärztlicher Ethik, andauert.

Affront gegen die Halbgötter der Antike
Das größte Ärgernis für seine Standesgenossen war weniger, dass er statt auf Latein zumeist in der deutschen Volkssprache lehrte und schrieb, um von jedermann verstanden zu werden, sondern dass er die im Mittelalter als Dogma geltende Medizin der Antike verwarf, ja sogar lächerlich machte. Dem starren System der sogenannten Viersäftelehre setzte er ein neues, komplexes und ganzheitliches Menschen- und Krankheitsbild entgegen, das sich aus seinen Erfahrungen als reisender Arzt speiste und eben nicht aus den Büchern der Universitätsgelehrten.
Die damals vorherrschende Krankheitslehre, auch Humoralpathologie genannt, geht ursprünglich auf den griechischen Arzt Hippokrates (ca. 460 bis 370 v.Chr.) zurück, wurde dann durch Galenos von Pergamon (ca. 130 bis 200 n.Ch.) erweitert und ausgearbeitet und fand noch bis ins 19. Jahrhundert hinein Anerkennung. Sie basiert auf der Vorstellung, dass die vier Köpersäfte Blut, gelbe und schwarze Galle sowie Schleim im richtigen Mischungsverhältnis zueinanderstehen mussten, damit der Mensch gesund sei. Ein Ungleichgewicht hingegen verursachte Krankheiten. Diese vier Säfte standen im Mittelpunkt eines ausgeklügelten Schemas, ihnen wurden nicht nur die vier Elemente Luft, Feuer, Erde und Wasser, sondern auch die Primärqualitäten warm, kalt, feucht und trocken zugeordnet, dazu Farbe, Geschmack, Organe, bis hin zu Jahreszeit, Lebensalter und Temperament. Noch heute spricht man vom Sanguiniker (Vorherrschaft des Bluts), Choleriker (gelbe Galle), Melancholiker (schwarze Galle) und Phlegmatiker (Schleim). Grundlage der Krankheitsbehandlung war, dass eine Störung mit ihrem Gegensatz bekämpft wurde.

Auch Paracelsus anerkannte die Bedeutung von Körpersäften, zu denen er auch Schweiß, Speichel oder Harn zählte, indessen abseits dieses starren Schemas. Mit seiner vehementen Kritik an der viel zu theoretischen Medizin der Alten schuf er sich rasch rundum Gegner. Die Anfeindungen gegen ihn führten bis zu einem Berufsverbot in Basel und einem Druckverbot für das gesamte Deutsche Reich. Letzteres wurde womöglich von den Fuggern und Welsern veranlasst, jenen mächtigen Handelsdynastien, die ein Vermögen machten mit dem Import von sündhaft teurem Guajakholz, einem angeblichen Wundermittel gegen die grassierende Syphilis. Paracelsus hatte nämlich den Mut, dieses Tropenholz in seinen Schriften als nutzlos und reine Geldmacherei zu brandmarken, prangerte zugleich die Ärzte und Apotheker an, die mit ihren hochgiftigen Quecksilberkuren die Kranken reihenweise auf die Friedhöfe brachten. Stattdessen propagierte er eine individuelle Analyse: Gleiche Symptome würden nicht dieselbe Behandlung erfordern, da jeder Mensch eine andere Konstitution habe. „Ein Arzt darf nicht allen Kranken dasselbe Lied singen!“

Paracelsus' Wirken bis heute
Zu Lebzeiten verspottet und angefeindet, blieb sein Andenken durch alle Jahrhunderte lebendig. Eine erste Renaissance erlebte der Paracelsismus bereits wenige Jahrzehnte nach seinem Tod; wohl eher seiner schillernden Persönlichkeit geschuldet sind die zahlreichen volkskundlichen Sagen und Legenden über ihn, die damals entstanden. Auf Goethe, Shakespeare und später auf die Dichter der Romantik wirkte vor allem seine Naturphilosophie, seine Vorstellung, dass nichts in der Natur ohne Leben sei, nichts Materielles ohne Geist. Neben dem sichtbaren irdischen Lebensraum gebe es weitere zwischenweltliche Räume, quasi para-natürliche Grenzbereiche, die von Elementargeistern bewohnt seien.
In den 1920er Jahren erfuhr dann seine Heilkunst eine Wiedergeburt, und 1927 gibt der Medizinhistoriker Karl Sudhoff die erste umfassende Gesamtausgabe heraus, die sich auf gut 7000 Seiten beläuft. Leider wird Paracelsus wenig später von den Nationalsozialisten zur Gallionsfigur einer „Neuen Deutschen Heilkunde“ erkoren und mit NS-Ideologien überfrachtet. Sein 400. Todestag wird 1941 in Salzburg pompös gefeiert, 1942 ein NS-Propagandafilm namens „Paracelsus“ gedreht, ein Jahr später eine Paracelsus-Oper komponiert.

In unserer Zeit steht Paracelsus vor allem für die Naturheilkunde und Homöopathie. Dort gilt sein Grundsatz bis heute: „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Auch das Prinzip „similia similibus curantur“ (Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt) stammt von Paracelsus, und nicht etwa von Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie. Seiner Zeit weit voraus war Paracelsus auch mit der Überzeugung, dass jeder menschliche Leib einen Balsam (mummia) enthalte, eine Art materialisierte Selbstheilungskraft. Diese zu bewahren sei die Hauptaufgabe des Arztes, der im Wesentlichen abwartend eingestellt sein solle. Zudem müsse der Mensch als Ganzes, in seinem gesamten Lebensumfeld betrachtet werden, und vom Arzt forderte er eine hohe Ethik, sprich Redlichkeit und Barmherzigkeit gegenüber den Kranken. Bis heute ehrt die deutsche Ärzteschaft alljährlich vorbildliche Ärztinnen und Ärzte mit der Paracelsus-Medaille.
In diesem Sinne hält auch die Schweizerische Paracelsus-Gesellschaft, 1942 in seinem Geburtsort Einsiedeln gegründet, sein Andenken hoch. Überdies trägt Deutschlands größte und älteste Gesundheitsmesse in Wiesbaden seinen Namen, ebenso eine private medizinische Universität in Salzburg. Nach ihm sind ein Mondkrater und ein Asteroid, ein Mineral und ein Enziangewächs benannt, zahlreiche Orte wie Esslingen, Salzburg oder Beratzhausen schmücken sich mit Monumenten, Gedenktafeln oder Straßennamen.
Ein ebenso unruhiger wie genialer Geist hat es also zum Klassiker gebracht, der zwar von den unterschiedlichsten Strömungen vereinnahmt wurde, aber niemals in Vergessenheit geriet und sogar in die Weltliteratur Eingang fand. Paracelsus würde es freuen!

Unruhige Zeiten
Mit der Entdeckung der Neuen Welt 1492 und deren Eroberung sowie dem Siegeszug des Buchdrucks ging nach unserem heutigen Geschichtsverständnis das Mittelalter zu Ende, das folgende 16. Jahrhundert brachte epochale Umbrüche hervor: Von Italien aus verbreiteten sich Humanismus und Renaissance in Deutschland, zugleich erschütterte der Augustinermönch Martin Luther den Glauben an die römisch-katholische Kirche, die das tägliche Leben seit Jahrhunderten bis ins Kleinste bestimmt hatte. Das starre Gerüst der mittelalterlichen Ständegesellschaft war im Einsturz begriffen: Bauern erhoben sich auf dem Land gegen ihre Grundherren, die städtischen Handwerker gegen die frühkapitalistischen Patrizier, Anhänger der Reformation und Gegenreformation lieferten sich erbitterte Kämpfe, ja blutige Kriege, die eidgenössische Schweiz löste sich aus dem Deutschen Reich.
Die Frühe Neuzeit war also eine Zeit der Glaubensspaltung und der Glaubenszweifel, der schwindenden Werte, der Verunsicherung und Zerrissenheit infolge geistiger, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen. Nichts schien mehr zu sein wie seit Menschengedenken, wobei nur wenige den Glauben der Humanisten teilten, die Welt befände sich an der Schwelle zu einem “goldenen Zeitalter”. Und doch hatte auch dieser Glaube seine Berechtigung: Schlag auf Schlag kam es zu neuen technischen Erfindungen, zu neuen Entdeckungen auf der Weltkarte, ja sogar das Universum wurde mit Kopernikus, später dann mit Galilei und Kepler, neu vermessen. Physikalische und mathematische Gesetze wurden aufgestellt, die heute noch in der Schule gelehrt werden, die modernen Naturwissenschaften entstanden.
Paracelsus war par excellence ein Kind dieser unruhigen, spannungsreichen Zeit, die als Vorläufer und Wegbereiter der Moderne gilt. Nur hatte er wohl das Problem, sich keiner der damaligen Strömungen zugehörig zu fühlen. Er blieb Zeit seines Lebens „allein und fremd und anders“.

Die Rolle der Frau
Die große Verliererin jener Zeit war mit Sicherheit die Frau. Gegenüber dem Mittelalter fand nun eine Ausgrenzung statt, die auch meine Protagonistin Barbara zu spüren bekommt. Einstmals zugestandene Rechte wurden den Frauen sukzessive wieder genommen, aus dem Berufsleben verdrängte man sie als unliebsame Konkurrentinnen, mit Auftauchen der Syphilis und der damit einhergehenden Sexualfeindlichkeit dämonisierte die Kirche sie sogar als triebhaft und gefährlich.
Hatten Frauen im Spätmittelalter noch selbständig Berufe ausgeübt (vor allem in den Bereichen Versorgung, Nahrung und Heilkunde), hatten sie als Meisterinnen (bis um 1500 gab es noch Frauenzünfte) oder über die Mitarbeit in den Betrieben ihrer Männer einen wichtigen Einfluss ausgeübt, wurden sie nun zunehmend rechtloser. Zu Hause, unter der Aufsicht des Mannes, sollte fortan ihr angestammter Platz sein, gesellschaftlich anerkannt war nur noch der Stand als Hausfrau oder Witwe.
Fiel eine Frau aus ihrer Rolle, drohte ihr im Laufe des 16. Jahrhunderts eine immer größer werdende Gefahr: Die Denunziation und Verurteilung als Hexe. Denn dieser menschen- und frauenverachtende Wahn war ein Kind der Frühen Neuzeit und nicht etwa des vermeintlich so finsteren Mittelalters, in dem allenfalls Ketzer den Tod durch die kirchliche Inquisition fanden (siehe auch meine Romane „Die Hexe von Freiburg“ und „Der Hexenjäger“).
Paracelsus war übrigens auch in seiner hohen Wertschätzung des weiblichen Geschlechts ganz und gar untypisch für jene Zeit. Nicht nur, dass er eine eigene Frauenheilkunde propagierte, auch in die Theologie schloss er das Weibliche mit ein: Die Jungfrau Maria war in seinen Augen nicht nur die Gebärerin des Heilands, sondern vielmehr der weibliche Anteil der Gottheit.
