"Hatten Sie Berührungsängste bei dem gruseligen Thema?"

(Interview mit dem Kindler-Verlag zur "Henkersmarie")

files/AstridFritz/Bilder ab Henkersmarie und Sera3/Aus Thetriumphofdeath Bruegel Aeltere.jpgIhr Roman erzählt das Schicksal einer Henkerstochter im 16. Jahrhundert. Was hat Sie an dieser „Henkersmarie“ – wie sie genannt wird - interessiert?

Schon bei der „Hexe von Freiburg“ war ich ja zwangsläufig auf den Berufsstand des Henkers gestoßen, hatte mich aber damals mehr mit Verhör- und Foltermethoden als mit dem Menschen, der dahinter steckt, beschäftigt. Auch in meinen folgenden Romanen, die meist im Spätmittelalter oder in der Frühen Neuzeit spielen, war die Figur des Henkers fast immer im Hintergrund präsent. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis in mir der Impuls, das Leben in einer Henkersfamilie darzustellen, immer stärker wurde. Und zwar aus der Sicht eines Mädchen, das in einer solch verfemten Familie zur jungen Frau heranwächst - einer Maria, die von ihrer Umwelt nur als „Henkersmarie“ wahrgenommen wird und diese Fessel durchbrechen möchte.


Der Henker in Ihrem Roman ist eine ambivalente Figur. Er versteht sich nicht nur aufs Töten, sondern auch - wegen seines umfassenden medizinischen Wissens - aufs Heilen. Was machte denn das Berufsbild eines Henkers aus?

Eben gerade diese Ambivalenz. Nur die allerwenigsten unter den Scharfrichtern waren enthemmte oder entseelte Tötungsmaschinen, zumal das Töten ja von Amts und Rechts wegen angeordnet war, immer im Glauben, eine gottgegebene Ordnung aufrechterhalten zu müssen. Viele von ihnen waren durch den engen Kontakt zum Stadtrat und ihrer Kenntnisse des Strafrechts sogar ziemlich gebildet. Zum anderen machte ja das Töten, Strafen und Foltern nur einen Teil ihres „Handwerks“ aus. Ihnen oblag auch die sittlich-moralische und hygienische Sauberkeit einer Stadt: Sie und ihre Knechte mussten ein Auge auf die Huren und Glückspieler haben, verendetes Vieh war fachgerecht zu entsorgen, Kloaken waren zu leeren, unziemliche Bücher zu verbrennen, streunende Hunde einzufangen und zu töten, Tiere zu kastrieren… Gerade diese anderen „schmutzigen“ Aufgaben machten den Beruf allmählich zum verachteten Handwerk, weniger das Hinrichten selbst. Dass die Bürger trotz allem ihre Hilfe als Heiler suchten, mochte so manchem Scharfrichter die Schuldgefühle genommen, die Selbstachtung bewahrt haben. Nicht wenige nämlich verfielen dem Alkohol oder gingen, in der Hoffnung auf Buße, auf lange und beschwerliche Wallfahrten.

Wie kam man im 16. Jahrhundert zum Beruf des Henkers? Gab es auch weibliche Henker?

Dieser Berufsstand entwickelte sich erst mit der Professionalisierung des Tötens im 14. Jahrhundert. Bis dahin war das Hinrichten Sache eines Fronboten oder Knechts des siegreichen Gegners bzw. herrschte das alte (germanische) Sühneverfahren des Mittelalters, das auf friedlichen Ausgleich zwischen den Parteien zielte. Die ersten Henker rekrutierten sich zumeist aus Söldnern, Gerichtsschöffen oder Bütteln, ganz zu Anfang dienten auch Verbrecher als Henker, die dann selbst begnadigt wurden. Mit der Blüte der Städte wurde das Hinrichten zu einem besoldeten Amt und damit allmählich zu einem verfemten Handwerk (Töten gegen Geld!). Als sich im 16. Jahrhundert die sogenannte Unehrlichkeit verfestigte, blieb den Söhnen der Henker nichts anderes, als ebenfalls Henkersknecht zu werden oder sich sein Brot mit anderen „unehrlichen“ Handwerken wie der Abdeckerei zu verdienen. Die Töchter wiederum heirateten andere Ehrlose, schlossen sich Fahrenden an, landeten in der Prostitution oder gingen ins Kloster.

Weibliche Henker gab es meines Wissens nie, auch wenn in manchen Städten die Henkersfrauen den Amtseid ihres Mannes mitleisten mussten. Wohl aber halfen sie bei allen unblutigen Angelegenheiten aus, wenn ihr Mann auf Dienstreise war. In der Hauptsache aber waren sie, neben dem Haushalt, mit der Herstellung und dem Verkauf von Arzneien beschäftigt, dem Sammeln von Kräutern und Rauschmitteln, die für Folter und Hinrichtung als heimlicher Gnadentrunk genutzt wurden.

In dem Buch wird eine totgeweihte Frau von einem Henker in letzter Sekunde begnadigt. Dazu muss er sie heiraten. Gibt es hierfür reale Vorbilder?

Es gab tatsächlich einen Rothenburger Scharfrichter (seinen Namen konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen), der um 1525 nach Nürnberg beordert wurde, um den dortigen erkrankten Meister Gilg zu vertreten: Eine junge Kindsmörderin sollte in der Pegnitz ertränkt werden. Den Rothenburger überwältigte das Mitleid mit seinem Opfer, und so machte er, unter Verzicht seines recht hohen Lohnes hierfür, von dem alten Recht des Losheiratens Gebrauch.


Hatten Sie selbst Berührungsängste bei dem gruseligen Thema?

Die hatte ich anfangs gewaltig – ganz ähnlich wie bei meinem Erstling „Die Hexe von Freiburg“. Was den Leser „wohlig“ gruseln lässt (etwa die Themen Hexenwahn, Pest oder eben Folter und Hinrichtung), musste ich mir ja erst einmal durch intensive Recherche aneignen, und sich da durch die Quellen und Fachliteratur zu arbeiten, hat schon manchmal weh getan. Beim Schreiben selbst schaffe ich es inzwischen, eine gewisse Distanz zu dem Geschilderten zu halten, wobei mir ohnehin sehr viel daran liegt, nicht voyeuristisch oder plump brutal zu werden. Und die Idee, den Menschen hinter diesem Berufsstand darzustellen, mit all seinen Gefühlen, seiner Fürsorge, seinem Mit-Leiden, hatte mich mehr und mehr fasziniert.

In den USA entzündet sich immer wieder die furchterregende Debatte über die «humanste» Art, Todeskandidaten ins Jenseits zu befördern:. Elektrischer Stuhl? Erschießen? Giftspritze? Läuft bei Ihnen dabei nicht im Kopf ein doppelt makabrer Film mit: hier die mittelalterlichen Exekutionen, – dort die barbarischen Tötungsarten der Neuzeit?

In der Tat berühren mich solcherlei Pressemeldungen jetzt anders, seitdem ich für dieses Thema sensibilisiert bin. Und die Situation in einer Industrienation wie den USA schockiert mich dabei besonders! Etwas anders stellt sich für mich das Henkerswesen in den “archaischen” Kulturen wie Saudi-Arabien mit der Scharia dar -  dort sehe ich echte Parallelen zu den europäischen Jahrhunderten vor der Aufklärung: Töten und Strafen als Aufgabe des Henkers scheint mir im Denken der Mehrheit verwurzelt wie zu Zeiten meiner “Henkersmarie” – gerade so, als wäre die Zeit stehen geblieben...


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