Hintergrundinformationen - "Die Vagabundin"


Die Vagabundin – ein weiterer “Hosenroman?”

files/AstridFritz/bilder ab Vagabundin/VB-Landfahrer.jpgDer Stoff beruht auf einer wahren Geschichte, auf die ich ganz zufällig gestoßen bin: Im Nördlinger Stadtmuseum, wo ich für meine “Gauklerin” über den 30jährigen Krieg recherchiert hatte, entdeckte ich eine Deckenfahne mitsamt einer historischen Zeichnung zum Gerichtsprozess der Eva Barbiererin. Über das Stadtarchiv bin ich dann auf die Fakten zu ihrem Prozess gestoßen. Die waren mit viel Liebe zum Detail in einer Schrift des ehemaligen Stadtarchivars Dr. Gustav Wulz aufgearbeitet.

Diese Fakten habe ich versucht, mit Leben zu füllen. Es ging mir nicht darum, der aktuellen Reihe an “Hosenromanen” einen weiteren hinzuzufügen. Vielmehr bin ich den historischen Vorgaben gefolgt und habe mich dabei gefragt, warum eine junge Frau jahrelang allein durch die Welt wandert und sich den Gefahren der Landstraße aussetzt, bis sie sich zuletzt als Mann verkleidet, um sich zu schützen.

Bei meinen Recherchen habe ich übrigens festgestellt, dass die Verkleidung als Mittel, auf der Straße zu überleben und sein Brot zu verdienen, durchaus bekannt war, vor allem bei alleinstehenden Frauen. Allein in den Niederlanden sind zwischen 1550 und 1839 über 120 Frauen in Männerkleidern historisch belegt, viele davon stammen aus Deutschland. Manche verdingten sich sogar als Soldaten oder Seeleute, wie die legendäre Piratin Mary Read oder Maria van Antwerpen, die ihre Verkleidung dreizehn Jahre lang aufrechtzuerhalten vermochte. Anderen gar erschien eine Heirat als letzte Konsequenz, um Argwohn zu meiden. Erleichtert wurde dies durch die zunehmende Prüderie jener Zeit: Nacktheit und erotische Offenherzigkeit waren tabuisiert. Dennoch brauchte es starke Nerven, Schlauheit und Schauspieltalent – Eigenschaften, die Eva ganz offensichtlich hatte.

Übrigens kann die Forschung nur in den wenigsten Fällen eine sexuelle Orientierung ausmachen, zumal Begriffe wie Transvestiten oder Homosexualität nicht wie heute anzuwenden sind. Weitaus häufiger sind ganz pragmatische Gründe: Flucht vor dem zerrütteten Elternhaus oder einer ungewollten Heirat, Aufnahme einer Arbeit, die Männern vorbehalten war, oder aber einfach das Überleben auf der Landstraße, unbehelligt vor sexuellen Übergriffen. Und sicherlich auch eine gehörige Portion Freiheitsdrang und Abenteuerlust. Bei der historischen Eva Barbiererin trafen wohl alle Gründe zu.

Gefährlich war es allemal, denn bei Entdeckung landete man vor Gericht. Mit viel Glück wurde “nur” eine sogenannte Ehrenstrafe (Pranger, Landesverweis) verhängt. Grund für diese vermeintliche Milde: Einer Frau wurde eine eigene Sexualität gar nicht erst zugestanden. Der zu jener Zeit einzig denkbare Sexualakt war der klassische Akt zwischen Mann und Frau, und das Delikt “Sodomie” (dem alles Abartige inklusiv der männlichen Homosexualität zugeordnet wurde) existierte nur für Männer. So sahen die Herren Richter selbst bei Verlobung oder Heirat keine sexuelle Verfehlung, sondern einen schändlichen Betrug. Schließlich stand der Mann über der Frau!


Die historische Eva Barbiererin

files/AstridFritz/bilder ab Vagabundin/VB-SchneiderMA.pngEnde August 1565 tauchte in der Messe- und Handelsstadt Nördlingen ein Schneidergeselle namens Adam Portner auf, der bei der Zunft um Hilfe bat, da man ihn überfallen habe. Das taten die zünftigen Herren gern, denn der junge Bursche hatte eine nette und äußerst einnehmende Art. Sie brachten ihn in einer Herberge unter, ließen einen Arzt kommen, versorgten und verköstigten ihn, kurzum: Sie kümmerten sich fast rührend um ihn – bis sich durch einen dummen Zufall herausstellte, dass es sich bei diesem Adam um eine Frau handelte. Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf und mündete schließlich, am 7. Dezember 1565, in die Hinrichtung der kaum zwanzigjährigen Eva Barbiererin.

Einiges mag den Lesern dieses Romans höchst unwahrscheinlich vorkommen. Aber gerade solche Episoden sind historisch belegt: So etwa, dass ihre Verkleidung niemals, nicht einmal im Badhaus durchschaut wurde, dass sie als Handwerksbursche in den Zunfthäusern ein- und ausging, und dann endlich: dass sie offiziell verlobt war mit der Regensburger Spitalmutter, einer angesehenen Bürgerin. Auch bei der Darstellung ihrer Kerkerhaft in Nördlingen, den Verhören, der Folter, der Urteilsverkündung und schließlich der Hinrichtung habe ich mich an den überlieferten Fakten orientiert.

Historisch sind auch die meisten Stationen ihrer Wanderschaft, die sie vom böhmischen Glatz bis ins schwäbische Nördlingen führte, sowie die erwähnten Nördlinger Örtlichkeiten, wie etwa:
die Zunftherbergen Goldener Stern (Baldinger Str. 19)
und Goldenes Rad (Löpsinger Str. 8),
das Wägloch (Folterkammer) unterm Rathaus,
die Hinrichtungsstätte Rabenstein vor dem Reimlinger Tor,
das Straußbad am Weinmarkt 2,
oder auch die Namen der Inquisitoren Flanser und Heidenreich sowie des Ratsherrn Vogelmann und des Henkers Endris Franck


Die Eva meiner Fantasie

Anderes hingegen habe ich meiner Fantasie überlassen, angeregt von den zahlreichen, teils auch widersprüchlichen Aussagen, die sie selbst zu ihrem Leben gemacht hatte. Auch die historische Eva ist als halbes Kind aus dem Elternhaus vor einer Zwangsheirat geflohen – bei mir kommen noch die sexuellen Übergriffe des Stiefvaters hinzu, denn gerade in den Gerichtsakten des 16. Jahrhunderts finden sich gehäuft Fälle von Inzest und Vergewaltigungen Minderjähriger.

Erfunden ist ebenfalls die Liebe zu Moritz. Aber auch hierzu haben mich historische Hinweise angeregt. Liebesbeziehungen zwischen dem einfachen Landadel und Bauernmädchen waren nicht selten. Und Eva musste mit einigen Adligen gut bekannt gewesen sein, denn deren Gnadengesuche bewahrten sie vor dem qualvollen Tod des Ertränkens, einer zeittypischen Frauenstrafe für Kapitalverbrechen.

Ganz sicher ist eines: Eva war eine außergewöhnliche, sehr selbständige und auch gewitzte junge Frau, die sich jahrelang erfolgreich über Wasser gehalten hatte - mit ihrem Geschick im Schneiderhandwerk einerseits, mit kleinen Tricks und Betrügereien andererseits.


Der Prozess

Aus Flugschriften, Geschichten und Liedern kannte jeder diese “Hosenteufel” genannten Frauen, die die Welt auf den Kopf stellten und denen man nicht selten heimliche Hochachtung zollte. Das Sensationelle für die Nördlinger war, dass man von Angesicht zu Angesicht einen solchen Fall bestaunen durfte. Nun war die Empörung der Richter über solch freche Frauen häufig so groß, dass sie versuchten, ihnen weitaus schlimmere Delikte als nur Betrug nachzuweisen. So auch bei der Eva Barbiererin. Die lange Kerkerhaft, die Verhöre und die Folter hatten sie so zermürbt, dass sie sich immer mehr in Widersprüche verwickelte und am Ende alles Mögliche zugab. Wie die Straßenräuberei, eines der schlimmsten Verbrechen dazumal.

In meinem Roman folge ich der Einschätzung der Historikers Gustav Wulz, dass Eva die ihr zur Last gelegten Gewaltverbrechen niemals begangen, sondern nur unter dem Druck der Folter gestanden hatte - tatsächlich nämlich konnte ihr zweifelsfrei nichts anderes nachgewiesen werden, als dass sie ein “unehrenhaftes Leben” geführt hatte.

Außergewöhnlich war nicht nur Evas Leben, sondern auch ihr Ende. Zum einen wurde sie aufgrund der zahlreichen Fürbitten zu dem ehrenvollen, normalerweise Männern vorbehaltenen Tod durch das Schwert “begnadigt”. Zum andern musste sie ihren letzten Gang nicht im schäbigen Kittel antreten, sondern trug nagelneue Männerkleidung, von den Nördlinger Bürgern gestiftet!

files/AstridFritz/bilder ab Vagabundin/VB-Hinrichtung-neu.jpg“Starb also kecklich und mannlich” – mutig und mannhaft, heißt es im sogenannten Blutbuch der Stadt voller Anerkennung. Doch Eva nutzte diese Anerkennung nichts mehr: Was ihr als einziger Ausweg erschien aus ihrer schwierigen Lebenssituation, nämlich ein von der Männerwelt geborgtes, falsches Leben, war ihr zum Verhängnis geworden.


Auszug aus dem Gerichtsprotokoll

Im Blutbuch der Stadt Nördlingen wird die ungewöhnliche Hinrichtung der Eva Barbiererin ausführlich in Wort und sogar Bild beschrieben (diese Zeichnung ist am Ende meines Romans abgedruckt). Der Wortlaut, in eine etwas modernere Sprache übertragen, lautet:

Eva Barbiererin von Glatz in Böhmen kam hieher
zu dem geschwornen Schneiderhandwerk in Mannskleidern.
Tat sich für ein Schneidergesell ausgeben,
gab vor, dass sie bei Schwabach von Einem beraubt und geschlagen worden sei,
stellt sich kränklich, bewegt die Schneider,
dass sie sie in ein Wirtshaus eindingen und mit ihr vor den Rat gehen
und (…) ihrem angegebenen Vater gen Regensburg schreiben,
einen Boten dahin zu schicken, damit der ihr in der Krankheit helfen tue.
Doch alles aus Betrug: so hielt sie sich in der Folge,
da der Bote wiederkommen sollte, ganz verdächtig,
entstanden ihrethalben allerlei Reden, dass sie ein Weib sei.
Darauf tat sie sich, in etlichen Kleidern, die ihr von Etlichen
aus Barmherzigkeit angeliehen worden waren,
heimlich aus der Stadt,
dass ihr die, deren die Kleider gewesen, nachgeeilt,
sie erheischten und wieder reinbrachten.
Alsbald wurd sie eingezogen (gefangen genommen).
Da nun der Bote kam (…) und anzeigt,
dass sie die Unwahrheit vorgegeben hat,
und zu Regensburg als Weibsbild daselbst ein Weib genommen habe,
und da eingelegen und der Stadt verwiesen worden sei,
da ließ man sie besichtigen und ansprechen (verhören).
Da befand (bestätigte) sich ein solliches.
Darauf tat man sie oftmals gütlich und mit Ernst (Folter) ansprechen.
Also bekannte sie nit allein viele Bubenstücke und Betrug (…),
sondern auch Diebstahl und dass sie zum Raub bewilligt und geholfen habe.
(…) Und dieweil sie nun von Jugend auf nichts Gutes gestiftet
und keine Besserung oder Nachlassung bei ihr zu verhoffen sei,
sie dann selbst sagt: (…) nur zu sterben und ihr das Leben zu nehmen begehre.
So ist sie heute zum Wasser verurteilt,
aber doch auf ihr und etlicher vom Adel beschehener Bitten
in Mannskleidern (…) mit dem Schwert auf dem Rabenstein
Wie ein Mann gerichtet worden.
Starb also kecklich (mutig) und mannlich.
Actum 7 ten Decembris anno etc 65
(Im Original folgt eine Zeichnung mit den folgenden Bildunterschriften:)
Man tut ihr zwar (wirklich, fürwahr) recht/
denn sie hat sich ausgeben/
für einen Schneidersknecht.
Sei keck (mutig), Eva Barbiererin/
ein schrameter (zerschrammter) Schneidersknecht.
Hau dapfer drein und ihr nit verschohn/
denn sie ist ein Frau und nit ein Mann/
triff sie vor den Kopf/
dass er sich umtaumelt wie/
ein Topf.

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