Hexenwahn in der Frühen Neuzeit

oder: Über drei populäre historische Irrtümer


files/AstridFritz/Bilder Hexe bis Kondor/HF-Aufsatz-Hexensabbat.jpg“Hexenwahn – o ja! Was für eine grausame Zeit, dieses finstere Mittelalter!” So oder so ähnlich ist nicht selten zu hören (und sogar zu lesen), wenn das Thema Hexenverfolgung zur Sprache kommt. Und ich gebe zu: Bevor ich angefangen habe, historische Romane zu schreiben, hatte auch ich, als Nicht-Historikerin, diese Gräueltaten irgendwo in die Schublade Mittelalter gesteckt, also in die tausend Jahre zwischen 500 und 1500 n.Ch. Bis ich auf das Schicksal der Catharina Stadellmenin stieß, die 1599 in Freiburg als vermeintliche Hexe verbrannt wurde und die ich zur Protagonistin meines ersten Romans “Die Hexe von Freiburg”gemacht habe.

Da erst, bei den Recherchen zu dieser Frau, wurde mir bewusst, dass es die Frühe Neuzeit war, als Vorläufer und Wegbereiter unserer heutigen modernen Zeit, die den geschichtlichen Hintergrund dieses Wahns bildete – eine Epoche voller Umbrüche und Widersprüche, Krisen und Kriege, eine gleichermaßen faszinierende wie erschreckende Zeit.

Auf den ersten Blick unglaublich: Der Höhepunkt dieser Massenprozesse lag zwischen 1590 und 1630 - das Mittelalter war also längst vorbei. Kopernikus, Galilei und Kepler (dessen eigene Mutter ums Haar als Hexe verbrannt wurde!) hatten das Universum entdeckt, physikalische und mathematische Gesetze wurden aufgestellt, die heute noch in der Schule gelehrt werden, die modernen Naturwissenschaften entstanden. Schlag auf Schlag kam es zu neuen technischen Erfindungen, wurden fremde Länder und Kontinente entdeckt. Es war die Zeit der Renaissance, des Humanismus und der Reformation, von Shakespeare und Descartes. Die letzten Hexen wurden noch verbrannt, als Immanuel Kant längst seine Hauptwerke der Aufklärung schrieb. Und in dieser Zeit des Aufbruchs glaubte der Großteil der Menschen an Schadenszauber, an Teufelsbuhlschaft und Teufelspakt, Hexenflug und Hexensabbat.

Es ist zwar bekannt, dass diesem Wahn zu allermeist Frauen zum Opfer fielen, aber es waren eben nicht – und hier kommt der zweite Irrtum ins Spiel, der bis heute durch die Köpfe spukt - die vermeintlichen Kräuterweiblein, Heilerinnen oder Hebammen. Nein, es konnte Frauen jeglichen Alters und jeden Standes treffen! Auffallend ist der große Anteil von Frauen aus angesehenen Kaufmanns- oder Handwerkerfamilien, auffallend die große Zahl von Witwen! So war auch Catharina Stadellmenin aus Freiburg weder Kräuterweib noch Hebamme noch irgendwie äußerlich auffallend, sondern gehörte quasi zur high society der Freiburger Bürgerschaft, als Frau eines reichen, angesehenen Schlossermeisters und Ratsmitglieds. Und trotzdem hatte man sie, Jahre später als Witwe, als vermeintliche Hexe denunziert und verbrannt - mit ihr zwei weitere Frauen aus sehr angesehenen Familien.

files/AstridFritz/Bilder Hexe bis Kondor/HF-Folter, Wickiana 1577.jpgWar eine Frau erst einmal in den Strudel des Hexereiverdachts geraten, blieb ihr kaum eine Chance. Zwar gab es auch damals bereits eine ausgefeilte Strafprozessordnung, nämlich die “Carolina” von Kaiser Karl V, wonach nur nach realem Schaden verurteilt werden durfte. Aber es gab den Bestand des extraordinären Verbrechens, und darunter hatte man einfach die Hexenprozesse definiert. Jetzt brauchte es gar keinen Schaden oder Geschädigten mehr, das Böse wurde unsichtbar und konnte nur durch ein Geständnis offenbart werden. Dazu bedurfte es der Folter, unter der alles gestanden wurde, was die Richter hören wollten. Ihre Suggestivfragen folgten einem festen, vorgefertigten Schema, bis die Opfer schließlich, durch ihre Höllenqualen seelisch und körperlich zerstört, alles zugaben.

Mit dem erst genannten Irrtum hängt ein weiterer zusammen: Diese Hexenprozesse haben nichts mit der kirchlichen Inquisition des Mittelalters zu tun, bei der es um Einzelprozesse gegen Ketzer und Abtrünnige ging. Die kollektive Hexenverfolgung der Neuzeit war Sache der weltlichen Obrigkeit (auch wenn sich die Obrigkeit geistlicher Territorien hier besonders unrühmlich hervortat). Gestützt wurde sie allerdings von der Hexenpropaganda der Kirche und deren diffamierendem Frauenbild, angetrieben von einem willigen und massenhaften Denunziantentum seitens der Bevölkerung. Die Menschen damals waren einer höchst magischen und abergläubischen Weltsicht verhaftet, und zwar quer durch alle Stände. Kirche und Obrigkeit mussten also gewissermaßen nur Öl ins Feuer gießen, um überall die Scheiterhaufen brennen zu lassen.

Die unteren Stände, die Armen und Außenseiter, standen meist nur am Anfang einer solchen Verfolgungswelle. Durch Besagungen anderer, also Anschuldigungen, die zuerst im Guten, dann unter Folter erzwungen wurden, weitete sich der Kreis im sozialen Sinne nach oben aus. So konnte es innerhalb weniger Wochen zu Dutzenden von Verbrennungen kommen, bis ins oberste Stadtbürgertum.

Warum nun aber diese massenhafte Verfolgung, dieser schier unbegreifliche Wahn? Darüber streiten die Historiker bis heute, die eine, einfache Erklärung gibt es sicherlich nicht. Fest steht: Deutschland, zusammen mit Südfrankreich und der Schweiz eine Hochburg der Verfolgung, stand damals abseits vom Welthandel. Es war eine Zeit sozialer Spannungen und wirtschaftlicher Nöte mit Niedergang der Städte und der Gewerbe, eine Zeit der Glaubensspaltung und Glaubenszweifel, der Werteumbrüche und der totalen Verunsicherung und Zerrissenheit. Sozialneid und Sündenbockdenken machten sich breit, die Menschen reagierten mit Ängsten, Aberglauben und Endzeitstimmung. Die Neuzeit war also nur vordergründig fortschrittlich.

Und: Gegenüber dem Mittelalter war es eine Zeit der Ausgrenzung der Frau. Einstmals zugestandene Rechte wurden ihr sukzessive wieder genommen, aus dem Berufsleben verdrängte man sie als unliebsame Konkurrentinnen, mit Auftauchen der Syphilis und der damit einhergehenden Sexualfeindlichkeit dämonisierte die Kirche sie als triebhaft und gefährlich. Zu Hause, unter der Aufsicht des Mannes, sollte fortan ihr angestammter Platz sein.

Unter dieser Prämisse wundert nun nicht mehr die hohe Zahl von Witwen unter den Opfern. Einerseits waren diese durch ihren Status zwangsläufig selbständiger, lebten individueller als Ehefrauen oder Töchter. Andererseits ungeschützter, da sie weder Vater noch Ehemann zur Seite hatten – sie waren den kontrollierenden Blicken von Nachbarn, Verwandten und Obrigkeit quasi ausgeliefert. Ein Fall wie der der Catharina Stadellmenin kann somit als durchaus exemplarisch gesehen werden: Es gibt keine Hinweise dafür, dass sie sich mit Magie oder Zauberei beschäftigt hätte, stattdessen etliche auf ihre ungebundene, unabhängige Lebensweise. Das allein reichte offenbar in jener Zeit, um diesem mörderischen Wahn zum Opfer zu fallen.

(Astrid Fritz im April 2008 für historische-romane.de)

nach oben
zurück zum Buch